Die Stadtwüstung Nienover im Solling ist aufgrund der guten Erhaltungsbedingungen ein archäologisches Kulturdenkmal von herausragender regionaler und landesgeschichtlicher Bedeutung: Eine charakteristische kleinere Stadtgründung der Zeit um 1200 und ein seltenes Beispiel für eine vollständig verlassene Stadt.
Die Gründung und der Niedergang der Stadt Nienover sind eng mit dem Aufstieg und Fall der Grafen von Dassel verbunden, die nach Mitte des 12. Jahrhunderts als Untergrafen von Heinrich dem Löwen im Solling erscheinen.
Die Entmachtung Heinrich des Löwen um 1180 begünstigte den politischen und wirtschaftlichen Aufstieg der Grafen von Dassel, die unter Graf Ludolf IV. ihren Stammsitz von der Burg Dassel auf die Höhenburg nach Nienover verlegten. Eine Burganlage, die um 1100 von den Northeimer Grafen erbaut und vorher zu deren Besitz zählte. [Auch die erste bekannte Erwähnung „Nienuoverre“ findet sich in einem zwischen 1144 und 1152 entstandenen Güterverzeichnis des Grafen Siegfried IV von Boyneburg – Northeim (* um 1095 – +1144).]
Um 1190 gründeten sie schließlich im direkten Umfeld ihrer Residenzburg die Marktsiedlung Nienover
Silbermünzen im Wesentlichen aus der Zeit um 1270 ©Krabath
Älteste Stadt im Solling
Nach dem aktuellen Forschungsstand handelt es sich um die älteste Stadt im Solling, die etwa gleichzeitig mit den noch heute bestehenden Städten wie Einbeck, Duderstadt und Hann. Münden entstand. Durch die Erhebung von Zöllen konnten die Grafen zunächst ihre Machtposition im Solling festigen. Doch bereits nach wenigen Jahrzehnten der Gründung, lässt sich Anfang des 13. Jahrhunderts ein erster Zerstörungshorizont fassen, in dem zahlreiche Häuser durch einen Brand zerstört wurden. Der Aggressor war möglicherweise der Bischof von Paderborn, der sich durch die territoriale Bildung der Grafschaft Nienover unter Graf Ludolf IV. bedroht fühlte und durch die Zerstörung der Stadt seine Position zu sichern versuchte. Die Übergriffe zeigten aber nicht die gewünschte Wirkung, das Grafenhaus nannte sich ab 1220 häufiger alternativ oder kombiniert von Dassel und von Nienover.
Diese Demonstration des Machtanspruchs darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bereits nach 1220 der archäologisch nachweisbare wirtschaftliche Niedergang der Stadt einsetzte. Während bei der Anlage der Stadt nahezu alle Parzellen bis an den Wall bebaut waren, schrumpfte die Bebauung nach dem ersten Flächenbrand um 1210/1220 auf die Hauptstraße und den zentralen Bereich zusammen.
1257 gelang es den Welfen schließlich die nahe gelegenen Stadt Uslar zurückzugewinnen, die bei dem Sturz von Heinrich dem Löwen im Jahr 1180 an das Erzbistum Mainz gegangen war. Durch die damit verbundene Verlegung wichtiger Handelsrouten nach Uslar wurde der Stadt Nienover eine wichtige wirtschaftliche Grundlage entzogen und die Grafen gerieten zunehmend unter Druck.
Idealisierte Rekonstruktion der Stadt Nienover ©Küntzel
Gesamtplan mit Grabungsflächen und den wichtigsten Befunden und Rekonstruktion von Straßen und Infrastruktur nach Reich, Stephan und Mahytka. ©Reich
Niedergang der Stadt
Gegen 1270 verödete die Stadt nach erneuter Zerstörung zunehmend. Vermutlich blieben nur noch enge Vertraute des Grafenhauses vor Ort und diejenigen, die in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu diesem standen. Bei dem Aggressor könnte es sich um Herzog Albrecht I. von Braunschweig gehandelt haben (Regierungszeit 1252 bis 1279). Als die Grafen diesem Machtkampf unterlagen, mussten Sie in der Konsequenz zwischen 1270 und 1274 umfangreiche Rechte am Solling, darunter Besitzungen und Zölle, an die Welfen abtreten. 1274 hielten sie Nienover als Reichslehen, bis vermutlich im Jahr 1303 Simon von Dassel die Burg Nienover an das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel verkaufte. Die neu erbaute mächtige Höhenburg Hunnesrück in der Nähe ihres ehemaligen Stammsitzes bei Dassel diente fortan als neue Residenz. Die Familie der Grafen von Dassel und Nienover starb schließlich im Jahr 1325 mit Simon bzw. 1338 mit Sophie aus.
Während die Stadt Nienover vermutlich nur über zwei bis drei Generationen bestand und schließlich in Vergessenheit fiel, diente die Burg bzw. das nach dem 30jährigen Krieg an dieser Stelle erbaute Anwesen zeitweise den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg als Wohn- und Jagdschloss.
Heute ist das Gebäude in Privatbesitz.
Schloss Nienover mit Amtshaus. Kolorierte Radierung um 1800 ©Georg Besemann
Ausschnitt aus der Historischen Karte mit dem Schloss und Amtshaus Nienover von 1770. Interessant sind die Flurbezeichnungen „Auf der Stadt“ und „Stadt Graben“. ©Hauptstaatsarchiv Hannover 220 Nienover 2pg