• Grabung 2006

Grabungen

Die frühe Auflassung der Stadt und weitgehend fehlende Überprägung des Geländes durch jüngere Überbauungen sind aus archäologischer Sicht ein wahrer Glücksfall, quasi wie „eingefroren“ haben sich bauliche Strukturen einer mittelalterlichen Stadt des 13. Jahrhunderts erhalten.
In den Jahren von 1993 bis 2007 wurden vor allem durch Prof. Dr. Hans-Georg Stephan (Universitäten Göttingen und Halle) umfassende archäologische Grabungen in Nienover durchgeführt. Diese Untersuchungen ermöglichen Aussagen zur Gründung, Siedlungsstruktur, Hausbau, Sachkultur, zu den in der Stadt angesiedelten Wirtschaftszweigen und zu den Handelsverbindungen ihrer Bewohner. Da es aus dieser Zeit des hohen Mittelalters kaum Schriftquellen gibt, sind die archäologischen Untersuchungen von besonderer Bedeutung für die Rekonstruktion der hochmittelalterlichen Siedlungslandschaft.

Die Funde und Baubefunde wurden im Rahmen von zwei Dissertationen durch Dr. Sonja König und Dr. Thomas Küntzel ausgewertet.

Die Stadt – Parzellen und Straßen

Die Stadt wurde auf einer Rodungsinsel am Südrand des Sollings verkehrsgünstig an einer Nahtstelle zwischen Siedlungsland und Wald gegründet. Durch die archäologischen Untersuchungen konnten zwischenzeitlich ca. 15 % der Stadtinnenfläche untersucht werden. Im Ergebnis zeigte es sich, dass die Stadtfläche in ihrer Blütezeit etwa 250 x 500 m (ca. 10 ha, Innenfläche ca. 8 ha) einnahm. Etwa 100 Häuser säumten die Straßenzüge und zwischen 1000 bis 2000 Bewohner belebten die Stadt.

Während im Süden und Osten durch die Topographie ein natürlicher Schutz gegeben war, wurde die Stadt im Norden und Westen mit einer ca. 40 m breiten doppelten Wall- und Grabenanlage gesichert. Zusätzlich schützte eine vorgelagerte Landwehr die Stadt.

Die Hauptverkehrsachse verlief West-Ost, mit einem mutmaßlichen schrägen Abzweig zur Burg. Im Zentrum der Stadt zeichnen sich einzelne Parzellen von etwa 20 m Breite und 30–40 m Tiefe ab, direkt daneben auch Grundstücksbreiten von etwa 9 m. In den Parzellen wurden Reste von Vorderhäusern, Holz- und Steinkellern, Nebengebäuden und Brunnen bzw. Zisternen erfasst.

Gesamtplan mit Grabungsflächen und den wichtigsten archäologischen Befunden nach Mahytka, Küntzel und König. ©Küntzel

Gesamtplan Parzellenstruktur (Detail). ©König

Häuser und Keller

Die Vorderhäuser waren ca. 8–12 m breit und bis etwa 8–22 m tief. Eine Ständerbauweise herrschte vor, aber auch Pfostenbauten bzw. Ständer-Pfosten-Mischkonstruktionen waren üblich. Es ist davon auszugehen, dass die Vorderhäuser in der Mehrzahl mit dem schmalen Giebel zur Straße hin ausgerichtet waren.

Die 15 bisher untersuchten Steinkeller bestehen aus in Lehm verlegten Bruchsteinen, wobei die Wände eine Stärke von ca. 40–75 cm erreichten. Von den Holzkellern haben sich nur die verkohlten Hölzer erhalten. Diese spiegeln eine Brandkatastrophe wider. Glück für die Archäologen, die manchmal unter der eingestürzten Kellerdecke, noch hervorragend erhaltene Funde machen. Die Keller gehörten zu Fachwerkhinterhäusern bzw. integrierten Räumen. Die prächtigen Häuser der reichen Kaufleute standen vornehmlich im Zentrum der Stadt, denn hier finden sich die größten Keller. Im Stadtrandbereich in Richtung der Tore nimmt die Kellergröße kontinuierlich ab. Hier wohnten vermutlich die Handwerker, deren Häuser auch über Wohnraum, Werkstatt und Laden verfügten. Es fällt auf, dass große und mittlere Keller neben dem Treppenzugang auch über Rampen mit Waren beschickt werden konnten. Keller waren notwendig für die Aufbewahrung größerer Mengen an Ware und Vorräten, nicht zuletzt dienten diese der Lagerung von Bier. Die Brauerei stellte eine wichtige Einnahmequelle vieler mittelalterlicher Städte dar.

Handel und Handwerk

Nach den archäologischen Befunden und Funden basierte der wirtschaftliche Aufschwung der Grafschaft Nienover neben dem Handel auch auf Eisengewinnung, Metallverarbeitung, Köhlerei, Bauholzproduktion, Töpferei und Glasherstellung. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf Buntmetallgießerei und Schmiedearbeiten aus Kupfer, Messing und Silber. Durch die umfangreichen Grabungen konnten etwa 100.000 Funde erfasst werden, wobei sich bedingt durch das saure Bodenmilieu kaum organische Materialien erhalten haben. Als einen herausragenden Befund sind hier vier 18 cm hohe Rippenbecher aus Glas zu nennen, die in einem zusammengestürzten Holzkeller gefunden wurden. Diese zählen zu den ältesten vollständig erhaltenen Gläsern der Zeit um 1200 in Niedersachsen.

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